Und was haben die Pferde denn mit Stapelburg zu tun?
Wie kommt das weiße Pferd auf das niedersächsische Landeswappen?
Nachgeforscht darüber und für uns aufgeschrieben hat dies Dr. Georg Stolle aus Hannover.

Hier nun das, was ich von seinen Aufzeichnungen am wesentlichsten fand:
Unsere nordischen, indogermanischen und germanischen Vorfahren zuchteten das Pferd für den Krieg als Schlachtross und für den Frieden als Haustier. Die beiden ältesten Pferdetrensen der Welt wurden auf dem Löß vor dem Harz und auf dem Löß in Nordböhmen an der Elbe gefunden. Sie sind aus Hirschhorn gearbeitet und stammen aus der Steinzeit (endete 2000 vor unserer Zeitrechnung). Zwei Pferdetypen sind nach den Bodenfunden schon für jene Zeit nachweisbar: ein kleineres und ein größeres. Letzteres war kräftig genug, um nach damaliger Sitte zwei Personen im Kampf zu tragen. In seinem Aussehen entsprach es etwa dem Trakehner. Durch die Nacherzählung, die Tacitus in seiner Germania vom Jahre 98 n.u.Z. von der Zucht und Haltung weißer Pferde bringt, bescheinigt er unseren Vorfahren, dass sie in Gemeinschaftsanlagen die religiös begründete Pferdezucht betrieben. Die Beweise dafür liegen nun vor. Bodenfunde, Flur- und Forstnamen, mündliche Überlieferung sowie mittelalterliche Schrifturkunden bezeugen mit großer Genauigkeit, dass ein germanisches Gestüt heiliger weißer Rosse am Nordrand des Harzes bei Stapelburg lag.
Das nördliche Vorland des Harzes gehört wegen seiner Lößdecke zu den Gebieten, die seit der großen vorletzten Eiszeit niemals einen geschlossenen Waldbestand trugen sondern überwiegend waldfrei blieben. Als der Löß nach dem Rückgang des Eises endgültig abtrocknete, begrünte er zuerst mit Steppenpflanzen. Das Pferd als Steppentier wird hier zu Hause gewesen sein, wie überhaupt unsere wichtigsten Haustiere von von Steppentieren abstammen. Den alteuropäischen Lößbauern gebührt daher wohl der Ruhm, als Pflanzen-und Tierzüchter die Grundlagen unserer heimischen Landwirtschaft geschaffen zu haben.
Schon in der 2. Periode der Bronzezeit, zwischen 1750 und 1400 v.u.Z. siedelten Germanen an der Bode aufwärts bis zum Harz und zwischen Oker und Leine im nördlichen Harzvorland. Sie lösten die bis dahin dort wohnenden Kelten ab. Die Felszeichnungen von Frännarp ( Schonen ) aus der Zeit von 1500 v.u.Z.zeigen mehrere Formen ihrer Rennwagen. Und die Darstellung eines mit zwei Pferden bespannten Wagens im Grab von Kivik (Schonen)entspricht genau dem bei Theben gefundenen Wagen, der heute im Museum in Florenz steht.
Über jeden Zweifel steht daher fest, dass die Germanen zu der Zeit, als sie das Harzvorland besetzten, ihre Pferdezucht bereits in kultischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu einem Höhepunkt entwickelt hatten.
Im Quellgebiet der Oker, das aus Oker, Radau, Ecker, Stimmecke und lise zusammenwächst, findet sich eine Fülle eindrucksvoller Zeugnisse des kulturellen und zivilisatorischen Hochstands, den unsere Vorfahren bereits sehr lange vor der Gleichschaltung durch Karl 1. erreicht hatten und bis dahin bewahrten. Das ganze Gebiet, das von der Okerfurt unter dem Sudmerberg bei Goslar bis Waterler (Wasserleben) an der lise etwa 18km breit und vom Brocken bis Ohrum bei Wolfenbüttel doppelt so lang ist, war vermutlich gaufrei ( ohne Verwaltung ), bis es im Zuge der karolingischen Eroberung aufgeteilt wurde. Unter den heute noch im Quellgebiet der Oker vorhandenen Anlagen, die dem Glaubensleben, der Ahnenverehrung, dem Festspiel, den Künsten, der Rechtspflege, der Verwaltung, der Wirtschaft, dem Handel und dem Verkehr dienten, nahmen die Einrichtungen für die Zucht der heiligen weißen Pferde einen breiten Raum ein. Ihren Mittelpunkt in Lage und Größe bildete der Schimmelwald. Wie der Name sagt, gehörte der Wald den Schimmeln. Erst im 2. Kaiserreich wurde der Name Schimmerwald kartenüblich - vielleicht durch den Unverstand eines landfremden Angestellten.
Früher erstreckte sich das Weidegebiet der Schimmel bis über Lochtum hinaus nach Norden, wie der Schimmelberg nördlich des Dorfes mit seinem unverderbten Namen beweist. Im Eckertal aufwärts waren die Forstorte für Fohlen und Stuten speziell eingeteilt. Das Stöttertal mit dem Stöttertalskopf gehörte den Stuten. Alle Forstorte darüber bis zum Molkenhaus waren den Fohlen vorbehalten. Der altgermanische Ausdruck für Fohlen lautet Hassen oder Hasseln. Im Englischen wurde es zu horse. Die Hasselburg am Hang des Waulsberges, dicht über der Eckerfurt beim Eckerkrug scheint Mittelpunkt der Fohlenhaltung gewesen zu sein. Auf engem Raum lässt sich eine Häufung von Forstorten feststellen, die den alten Ausdruck für Fohlen bewahrt haben wie: das große und das kleine Hasseltal mit den Hasselbächen, Hasselbruch beim Molkenhaus, Pferdediebsklippe und Hasselkopf Zwischen Fohlenkopf und Hasseltal lag die Eitzenburg ( kommt von atzen = weiden ), eine typische Weideburg. In mittelalterlichen Urkunden führt der dortige Bach den Namen Sennebeke. Vor Zeiten wurde das weidende Pferd als Senner bezeichnet. Der Name verrät uns, dass die Sennebeke als Tränke für weidende Pferde diente.
Augenscheinlich verbirgt sich auch im Namen der Ecker eine unmittelbare Beziehung zu sehr alter Pferdehaltung im Eckertal. Stuhl wies darauf hin, dass noch heute in Schleswig-Holstein der Ausdruck „Ecke" gleich „Stute" gebraucht wird.
Es war auch bekannt, dass der Rune „e" ein Wort zugrunde liegen musste, das mit „e" anfängt und ein heiliges Tier bezeichnet, das Künder göttlichen Willens ist. Hier fügt sich zwingend das „Ecke" ein, das im Eckertal lebendig blieb. Man könnte daraus folgern, dass nur Stuten als Künder zukünftigen Geschicks gebraucht wurden. Vielleicht trugen sie allein den Namen „Ecke" unter allen Stuten. In ihrer Aufgabe, den Menschen zu künden, welches der Wille des Heiligen ( Göttlichen ) ist, berühren sie sich in auffallender Weise mit dem getreuen Eckehard, der als Warner und Ratgeber, als Beschützer und Helfer der Menschen in zahlreichen Mythen und Märchen auftritt. (z.B.bei Tannhäuser) Stuten sind mit einer reicheren Gefühlsanlage ausgestattet als Hengste. Das mag sie in höherem Grade befähigen, den Willen des Heiligen zu erfüllen. Der Eckergarten und die Ecker im Eckertal bilden mit ihren Namen eine nicht mehr zu übersehende Heimat der treuen Warner.
Die alte Talstraße aus dem Eckertal heraus nach Stapelburg heißt „Trift" und bezeugt eindeutig, dass dort Tiere getrieben wurden. Ihre Verlängerung, die im Schauener Holz bei der Försterei Schauen die „alte" Straße, den Weltweg, schneidet, führt nach der 8km entfernten Stötterlingenburg und zum Dorf Stötterlingen. Es liegt nahe, in der Stötterlingenburg den alten Hauptsitz der heiligen weißen Stuten im alten Harzgestüt anzunehmen, als Gegenstück zur Hasselburg für die Fohlen. Der gute Lößboden in der Stötterlinger Feldmark war für die Gewinnung wertvollen Futters für die Wintermonate ideal. Das Weidegebiet der Stuten und Fohlen im Eckertal bot in vollendeter Form den Kalk, der zur Ausbildung des Knochengerüsts notwendig ist. Hier steht in der Bodenkrume der Mergel im Vordergrund, der von Geologen als „Ilsenburger Mergel" besonders gekennzeichnet ist.
Eine schriftliche Erinnerung an die heiligen weißen Pferde der Vorfahren enthalten auch die Schilder der alten Gaststätten, die sich nach dem weißen Pferd nennen. Zwar werden sie im Laufe der Jahrhunderte mehrfach erneuert worden sein, aber sie gleichen beglaubigten Abschriften mit unverfälschtem Inhalt. Von gut 50 bekannteren Gasthäusern dieses Namens, die in Reisehandbüchern empfohlen werden, liegt die Hälfte im Harzraum. Der Gasthof „Zum weißen Ross" in Stapelburg gehört zu den Hofstellen des alten Dorfes, die schon vorhanden waren, bevor Heinrich von Bila nach seiner Besitzergreifung das jetzige Dorf gründete. Bila kaufte den Hof erst 1582 von seinem Vorbesitzer, dem Pfarrer Michael Mohr, der in Weißwasser in Böhmen amtierte.
Ebenso ehrwürdig dürfte das Gasthaus „Weißes Ross" sein, das einsam am Schnittpunkt der Straße Vienenburg-Stötterlingenburg mit der alten Landwehr liegt, die vom Brocken an der Ecker entlang nach Braunschweig zieht und einst viel benutzt wurde. In seiner räumlichen Ausdehnung kann sich das Stapelburger Gestüt etwa mit Trakehnen (in Ostpreußen)messen,das in seinem Hauptgut und 15 Vorwerken 10 000 Morgen Wiese und Weide und 12 000 Morgen Land unter dem Pflug umfasste. Darauf wurden 1 100 Zuchtpferde, eingeteilt in 5 Stutenherden mit 15 Hauptbeschälern gehalten. Das Stapelburger Gestüt erstreckte sich vom Fohlenkopf im Eckertal bis Stötterlingen über fast 20km Länge. Die Weidehänge des Eckertals mit 6000 Morgen und der Schimmelwald mit 4000 Morgen können sich in jedem Vergleich sehen lassen. Dazu kamen noch die Weideflächen und die Ländereien unter dem Pflug, die in den Feldmarken von Stötterlingen, Schauen, Ellingen (wüst), Stapelingen und Lochtum lagen.
Die weißen Rosse, die aus dem Gesamtbestand des Gestüts zum ausschließlichen Dienst für den „Heiligen" ( Alke oder Chrodo genannt) ausgesondert waren, verfügten über annähernd 2000 Morgen Weidefläche.
Über den Körperbau und die festliche Aufzäumung der Stapelburger Pferde lassen sich einige begründete Vermutungen anstellen. Ein Säulenkapitell aus dem 10. Jahrhundert im Kloster Drübeck zeigt zwei Hengste, die mit mächtigen wehenden Büschen auf dem Rücken geschmückt sind. Nichts liegt näher, als das Vorbild zu der Skulptur im benachbarten Stapelburg und seinem Gestüt zu suchen. Sie zeigt die Tiere mit kräftigem Körper und in springender Bewegung. Man kann also mindestens von ihnen sagen, dass es sich um ein Laufpferd handelt, das Bewegung mit Kraft vereinte. Das Pferd auf dem Reiterstein von Hornhausen, der auf dem dortigen Saalberg gefunden wurde, zeigt eine tiefe Brust, schlanke Beine und einen kleinen Kopf mit kleinen Ohren. Die Mähne ist kunstvoll geflochten und der Schweif ist ungestutzt.
Während unsere germanischen Vorfahren kein persönliches Eigentum an den öffentlichen Einrichtungen und ihrem Grund und Boden kannten, beseitigte Karl der Große( 8.Jhdt.) diese Ausnahmestellung der umfangreichen öffentlichen Ländereien, indem er sie zu seinem persönlichen Eigentum erklärte. In der Hand seiner Nachfolger verwandelten sie sich zunächst in Reichsbesitz und wurden verliehen und zur Nutzung verschenkt, bis sie schließlich als persönliches Eigentum zum Erbe großer und kleiner Landesherren wurden.
Außerordentlich bedeutsam verläuft in dieser Zeit das weitere Schicksal der wichtigsten Stücke des alten Gestüts am Harz. Es wird offenbar planmäßig zerschnitten. Die Stutenburg wird Sitz eines Klosters. Die Fohlenburg mitsamt dem Schimmelwald und dem Waulsberg erscheinen in der Hand der Edelherren von Veckenstedt, bei denen der Rufname Walo üblich war und die darum auch Walonen von Veckenstedt heißen. Die Ahlsburg und die vier Ahlshaine kommen in die Hand der Adelharden von Dörnten. Diese beiden Familien tragen auffallenderweise die gleichen Namen wie die beiden „Vettern" Karls 1., Adelhard und Wala, die überall in Niedersachsen als politische Träger der Christianisierung und der Eingliederung in den westfränkischen Staat erscheinen. Der letzte Walo wurde 1126 im Zweikampf getötet, weil er seine Frau, die Grafentochter Gisela von Ammensleben verstoßen hatte. Sie hatte ihm nur eine Tochter geboren. Das nun freiwerdende Reichslehen, dessen Kern aus der Masse des alten Gestütsbodens bestand, wurde von Kaiser Lothar eingezogen (seit 1125 Kaiser). Lothar behielt das Lehen zunächst selbst und gab es dann seinem Schwiegersohn Herzog Heinrich dem Stolzen von Bayern weiter. Als der
Besitz an Heinrich den Löwen (seinen Sohn) gefallen war, schenkte dieser 1147 alles Land und den Wald am Waulsberg dem Kloster Königslutter, wo sein Vater und die Eltern seiner Mutter begraben liegen. Augenscheinlich war das verschenkte Lehn-und Erbstück etwas Besonderes. Es wurde seines Wertes wegen als Gabe für die Toten ausgesucht.
Das Bewusstsein des erlesenen und alten Wertes muss 1147 noch sehr lebendig gewesen sein. Otto 4., der 2. Sohn Heinrichs des Löwen, der 1197 Kaiser wurde, war der erste Herrscher und der erste Welfe, der das alte Symbol des Pferdes als Sinnzeichen verwendete und zwar auf zahlreichen Münzen. Vielleicht hat dieser augenscheinliche Rückgriff auf die altgermanische Tradition, die sich an den Besitz des alten Gestüts knüpft, dazu beigetragen, dass sich Otto 4. 1211 mit dem Papst verfeindet. Nach ihm führen die verschiedenen Zweige der Welfenfamilie -nachweisbar seit 1361- das Pferd zunächst als Helmzier und schließlich im Staatswappen.
Der örtliche und rechtliche Mittelpunkt des Gestüts am Harz lag in der Stapelburg und dem dazugehörigen Dorf Stapelingen. Hier war der Sitz des höchsten Bundesgerichts aller umwohnenden Stämme und Stammesverbände seit 500 bis 772. Im weiten Burgfrieden und im Anblick der Stapelburg lebten die heiligen weißen Pferde und ihre Betreuer. Da das Recht nach altgermanischer Auffassung die Grundlage jeder Gemeinschaft bildet und „Rot" die Farbe des Rechts und Gerichts war, konnte das Symbol des weißen Rosses gar nicht verständlicher und verpflichtender als auf einen roten Grund gesetzt werden. Das heutige Staatswappen von Niedersachsen beruht also auf einer lückenlosen Tradition, die mit dem gemeinsamen Eigentumsrecht unserer germanischen Vorfahren am heiligen Bezirk bei Stapelburg am Harz anfängt und mit dem heutigen niedersächsischen Staatseigentum am Waulsberg und am Schimmelwald endet. Eine Überlieferung von mindestens dreieinhalb Jahrtausenden liegt diesem heutigen Staatssymbol zugrunde.
Ein Vortrag von Inge Schwertner beim Heimatnachmittag am Sonntag, 16. März 2025 in Stapelburg.